Dieser Text wurde zuerst als Thread auf Twitter publiziert.
Journalismus hat sich noch nie über Inhalte finanziert. Früher kam das Geld auch vom Anzeigengeschäft (Jobs, Immobilien, Kleinanzeigen) und von klassischer Werbung. Doch dieses Geschäft hat sich ins Internet verlagert, allerdings weg von den klassischen Medien.
Der Schweizer Medienbranche gingen in den letzten 10 Jahren nicht weniger als 1 Milliarde Franken Werbeeinnahmen verlustig. Die grossen Profiteure heissen Facebook und Google. Sie bieten präzises Targeting und den grössten verfügbaren Topf an Kundendaten.
Da können Verlage nicht mithalten, selbst wenn sie zusammenspannen. So fehlt im Medien-Ökosystem immer mehr Geld; nicht enden wollende Sparübungen und Fusionen sind die Folge. Womit kann man den Journalismus finanzieren, wenn es die Werbung nicht mehr tut? Durch den Lesermarkt.
In den Anfängen des Internets hatten es die Verlagshäuser verpasst, Geld für Content zu verlangen und züchteten stattdessen eine Gratiskultur im Web. Jetzt, reichlich spät, wird dieser Kurs korrigiert und überall werden Paywalls hochgezogen.
Alles auf die Gratiskultur des Internets zu schieben, greift aber zu kurz. Im Netz geben die Leute für Medien sehr viel Geld aus. Aber halt lieber für Spiel und Spass als für eine zwar zuverlässige, aber vergleichsweise unspektakuläre Berichterstattung aus der Region.
Auch wir bei CH Media verlangen Geld für den vollen Zugang zu unseren Inhalten. Ein Digital-Abo kostet 14.50 pro Monat. Print-Abonnenten bezahlen dreimal mehr. Auch 2020 verdienen das St.Galler Tagblatt oder die Luzerner Zeitung ihr Geld mit Print. Doch diese Abozahlen sind stark rückläufig.
Also muss der Aboverkauf im Digitalen forciert werden. Die Zahlungsbereitschaft ist jedoch gering, war im Internet doch immer alles gratis. Die Herausforderung ist gross. Innert weniger Jahre muss der Wandel gelingen: Weg vom traditionellen hin zu einem digitalen Geschäftsmodell.
Die Frage, die uns beschäftigt: Gibt es ausreichend viele Leserinnen und Leser da draussen, die bereit sind, für Journalismus Geld zu bezahlen (wenn wir das technisch so einfach wie möglich gemacht haben)? Klassische News allein werden es nicht richten. Es braucht mehr.
Während die New York Times mit internationalen Themen in englischer Sprache eine globale Zielgruppe erreichen kann, ist der Markt für eine Appenzeller Zeitung oder ein Badener Tagblatt winzig klein. Lokaljournalismus skaliert eben nicht. Doch der Aufwand ist genauso gross.
Wir tickern live aus dem Kantonsrat und vom Schwingfest, produzieren Videoreportagen vom Musikfestival und vom Lawinenunglück, schauen den Behörden auf die Finger, rennen los wenn es brennt, bieten für jede Region eigene Newsletter, Pushmeldungen, Social-Media-Angebote.
Bei uns können sich Bürgerinnen und Bürger seriös über Abstimmungsvorlagen informieren, lernen Politiker, Sportlerinnen, Kunstschaffende kennen, bekommen Service und Lebenshilfe, bleiben am Puls der Region und der Welt. Doch wie lange können wir das noch bieten?
Jede Sparrunde führt zu einem schrittweisen Rückzug aus den Dörfern, aus den Gemeinden, aus den Tälern. Eine Gegend mit ein paar tausend Häusern ist kein “Business Case” mehr — es rechnet sich nicht. Was also tun?
Ich sehe vier mögliche Szenarien: A: Es gelingt uns, mit einfachen Mobile-Payment-Lösungen und einem bestechend attraktiven, mobile-gerechten Angebot, genügend Leserinnen und Leser zum Kauf eines Digital-Abos zu bewegen. Daran arbeiten wir gerade intensiv.
B: Lokaljournalismus ist Service Public und muss deshalb öffentlich finanziert werden. Die Definition von Service Public muss heute technologieneutral ausgestaltet sein und auf Online ausgeweitet werden.
C: Lokaljournalismus wird direkt über die regionale Community mittels Crowdfunding finanziert. “Wir berichten für euch aus der Stadt.” Wir setzen neu auf die Beziehung zwischen Leserinnen und Journalistinnen und nicht mehr zwischen Leser*innen und Medienhaus.
D: Wir produzieren nur noch Inhalte, die sich verkaufen lassen. Statt über einen Betrugsfall an der Schule (macht 5 Abos), liefern wir stattdessen Service-Stoffe wie “Mit diesen 10 Tipps sparen sie Steuern.” (macht 30 Abos). Doch ist das die Aufgabe der Medien?
Der Druck auf den Redaktionen ist enorm gestiegen. Nicht nur gilt es jeden Tag eine hochwertige Zeitung herauszugeben, sondern dazu noch “Digital First” für Online zu produzieren, am besten mit Videos, Bildergalerien, Grafiken und Umfragen. 12h-Tage sind keine Ausnahme.
Konvergenz nennt sich das. Alle machen alles. Ein täglicher Spagat. Könnten wir es uns leisten, würden wir den Onlinebereich massiv ausbauen. Stattdessen heisst es — wie bei allen Medienhäusern — Kosten runter. Gleichzeitig wollen wir Neues ausprobieren, lernen, besser werden.
Kritischer Journalismus ist demokratierelevant. Ich stimme dieser Aussage durchaus zu. Doch Zweifel sind angebracht, ob dieser am Markt finanziert werden kann. Die nächsten 2–3 Jahre werden darüber entscheiden.
Noch eine persönliche Bemerkung: Die hier beschriebene Herausforderung motiviert mich jeden Tag. Wir versuchen mit unseren Teams das optimale digitale Produkt mit den besten Inhalten zu entwickeln. Wird es uns gelingen, diese Arbeit am Markt zu finanzieren? Was ist eure Meinung?
]]>Wir tun es jeden Tag. Einander grüssen, oder Grüsse ausrichten. Aber was tun wir hier eigentlich? Was ist ein Gruss?
Der Gruß, die Begrüßungsformel, Begrüßungsfloskel, Abschiedsformel und Abschiedsfloskel, ist eine formalisierte oder ritualisierte Geste, Floskel oder ein anderes Ausdrucksmittel zum Einleiten bzw. Abschließen eines Kontaktes.
Die Bezeichnung ist zurückgebildet aus dem Verb grüßen, welches auf das westgermanische grotjan — „zum Reden bringen, sprechen machen“ — zurückgeht. Mit dem Gruß demonstriert der Grüßende seine Sicht der Beziehung zum Gegrüßten. Die Grußformen sind abhängig von Kultur, Zeit und Mode.
Es leitet eine Konversation ein, oder schliesst sie ab. Gibt unseren Gesprächen also einen Rahmen. Klingt nett, aber altbacken. Ist es auch.
Nehmen wir an, ich bekomme eine Email vom Arbeitskollegen — nennen wir ihn Sebastian. Wir arbeiten seit Jahren zusammen, laufen uns täglich 20 Mal über den Weg, verstehen uns gut, würden aber nie Freizeit zusammen verbringen. Dieser Sebastian schreibt mir nun eine kurze Email; so was wie: “Hier meine Präsentation für morgen.” Und dann:
Gruss Sebastian
Er schreibt mir einen Gruss? Wozu? Weil wir das alle tun? Weil es sich so gehört? Weil man riskiert, schroff zu wirken, wenn man das nicht schreibt?
Man könnte mit viel gutem Willen gar eine Sympathiebekundung hinein interpretieren — “ich mag dich, darum grüsse ich dich freundlich.”. Oder ein Form von Abschied — “wir sehen uns später”.
Belanglos. Bedeutungslos. Zwecklos.
Wenn wir am Telefon einer nicht anwesenden Person einen Gruss ausrichten, dann wollen wir damit signalisieren, dass wir an diese Person denken und sie damit auf Distanz erfreuen. In einer Email bringt das nichts. Denn das Schreiben allein ist ja bereits eine direkte Form von Kontakt.
Grüssen hat keine inhaltliche Bedeutung, ist bloss eine Floskel (siehe Definition oben).
Ein Gruss wirkt freundlich, ohne wirklich Zuneigung zu offenbaren. Ist also die anständige Form von distanzierter Bedeutungslosigkeit. Besser: “Ich freue mich auf unser Wiedersehen!” — oder “Ich wünsche dir viel Erfolg beim Projekt.”
Grüssen stirbt sowieso aus. Millenials verschicken keine Grüsse mehr, sondern Emojis, XoXo-Küsschen oder verabschieden sich aufgrund der immerdauernden Kommunikation via Whatsapp und Co. sowieso nicht voneinander.
Bedeutet das Aussterben der Grussformel einen weiteren Kultur- und Sprachverlust im digitalen Zeitalter? Kaum. Die geschriebene Sprache hat spannendere Blüten als “Viele Grüsse”, die es zu bewahren und unseren Kindern zu vermitteln gibt.
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