Politisch motivierte Panikmache! Das war das Echo, als ich 2019 auf die drohende mittelfristige Stromknappheit hinwies, welche den Berichten der Regulierungsbehörde Elcom entnommen werden konnte. Mittlerweile wird das Risiko der Energieverknappung und auch die spezielle Problematik der Versorgung im Winterhalbjahr von fast allen politischen Akteuren anerkannt. So weit, so gut. Es war höchste Zeit.
Eine der Forderungen, die aufgrund der Situation erhoben wird, muss uns jedoch zu denken geben: Autarkie sei das Zauberwort, heisst es allenthalben. Und vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Pandemie und der furchtbaren Aktualität des russischen Invasionskrieges gegen die Ukraine sehen viele das Heil in der Igelstellung. Und zwar nicht nur in den Bereichen Strom, Öl und Gas, sondern auch bei den Lebensmitteln sowie bei weiteren Rohstoffen.
Dabei wird der Wunsch nach Autarkie aus zwei Quellen gespiesen, einer politisch rechten und einer linken. Die rechte Seite möchte das Land von jedem ausländischen Einfluss abkapseln und damit unabhängig machen, nennen wir es den Herr-im-Haus-Standpunkt. Die Linke möchte dafür sorgen, dass wir keinen Austausch haben mit Ländern oder Regimes, die ihren hohen moralischen Erwartungen nicht gerecht werden. Wokeness als oberstes politisches Leitprinzip.
Die Anbauschlacht ist lange her
Was auch immer diesen Wunsch nach Autarkie nährt, solche Überlegungen erinnern mich fatal an den Plan Wahlen im Rahmen der Anbauschlacht, als im Zweiten Weltkrieg die Nahrungsmittelversorgung im Inland gesichert werden sollte. Publizistisch und psychologisch hatte das Projekt eine grosse Wirkung – war also gute PR, aber in der Sache war es (fast) ein Schlag ins Wasser. Die riesigen Anstrengungen sorgten gerade mal für einen Anstieg beim Selbstversorgungsgrad von 52% auf 59%, allerdings verbunden mit einer Senkung der durchschnittlichen Kalorienmenge pro Person um einen Drittel! (Quelle).
Worüber man vor 80 Jahren immerhin noch diskutieren konnten, ist heute jedoch vollständig ausgeschlossen: Die globalisierte und digitalisierte Dienstleistungsgesellschaft eines Kleinstaates mitten in Europa hat nicht den Hauch einer Chance, zu vernünftigen Bedingungen autark zu werden. Unsere Abhängigkeit ist nicht nur eine materielle – Energie und Nahrungsmittel – sondern vor allem eine technologische. Nicht nur unsere Wirtschaft, sondern unser ganzer Alltag wird von Systemen gelenkt, die unentwirrbar mit dem Ausland verbunden und damit international kontrolliert sind.
Die real existierende Alternative Nordkorea liefert Anschauungsunterricht, wobei sich selbst dieses Land trotz widrigster Lebensumstände für die Bevölkerung ohne externe Sponsoren nicht lange halten könnte. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich die Situation in Russland entwickelt, einem riesigen und bevölkerungsreichen Land, dass nun in Richtung Autarkie geht. Ohne massive Ineffizienzen und dramatische Wohlstandsverluste wird es nicht zu haben sein, soviel ist schon mal klar.
Was das für Firmen bedeutet
Also zurücklehnen und alles auf sich zukommen lassen? Das ist sicher keine gute Idee, denn das globale (und kontinentale) Umfeld hat sich deutlich verändert; darauf ist adäquat zu reagieren. Da ich mich nicht primär als Geostratege sehe, sondern eher in der Wirtschaft unterwegs bin, drei Hinweise, wie auf Firmenebene auf die Zeitenwende zu reagieren ist:
Notvorrat: Unfälle, kriegerische Ereignisse oder Pandemien zeigen die Grenzen von „just in time“ auf. In jeder Firma gibt es gewisse Produkte oder Komponenten, die für das Business unverzichtbar sind. Es ist zu überlegen, ob es davon nicht einen Notvorrat braucht – wie im Privathaushalt. Die Erfahrungen der letzten Zeit haben gezeigt, dass Ausfälle kleiner und vielleicht an sich billiger Teile die ganze Produktion zum Erliegen bringen können – mit gewaltigen Kostenfolgen.
Diversifikation: Bei Kapitalanlagen ist klar, dass man diversifizieren sollte, dies gilt aber auch für Mitarbeitende, insbesondere, wenn sie im Ausland stationiert sind. Ich habe in meinem Umfeld ein SaaS-Startup erlebt, bei dem die Backend-Entwicklung zum Stillstand gekommen ist, weil alle Entwickler aus der Ukraine stammen. Ein anderes hatte neben einem ukrainischen auch ein algerisches Team an Bord und daher den Kriegsschock viel besser verkraftet.
KYS: Mit dem Geldwäschereigesetz wurde der Begriff KYC (Know your customer) in der Finanzwelt zentral. Ich plädiere hier für KYS, für „Know your Supplier“. Viele Firmen haben nämlich böse Überraschungen erlebt, weil sie plötzlich gewahr wurden, dass ihr scheinbar über mehrere Lieferanten diversifiziertes Sourcing letztlich von einem einzigen Produzenten weit weg oder von einem einzigen Transportweg abhing.
Verabschieden wir uns also von der Hoffnung auf Autarkie, da sie ineffizient bis unmöglich umzusetzen ist, aber schauen wir sehr genau hin, wie wir unsere Resilienz im heute turbulenten Umfeld stärken.
Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Plakat: Noël Fontanet, Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung ZHdK