Mit dem Frühling sind nicht nur die Temperaturen gestiegen, sondern auch die Dichte an physisch durchgeführten Branchenanlässen, Konferenzen und Seminaren – der Speaker-Tourismus hat wieder Fahrt aufgenommen. Also werfen wir einen Blick auf den Pool an Referenten, denen man dort immer wieder begegnet.

Superstar

Beginnen wir mit dem Superstar, einer Gattung, die sich allerdings nur selten in die Schweiz verirrt, es sei denn, ein Finanzinstitut oder ein Luxusgüterkonzern werfe ein dickes Honorar auf, um sich zu profilieren (oder weil das Marketingbudget ja irgendwie verbraten werden muss). Von ihm erwartet man nicht unbedingt einen inhaltlichen Beitrag zur Veranstaltung.

  • Kernsatz: „Es ist so schön, heute bei Ihnen zu sein!“.

  • Typisches Take-away bei den Teilnehmenden: „Live wirkt Daniel Craig viel kleiner als im Film.“

Prominenter

Der Superstar ist zu unterscheiden vom simplen Prominenten. Dieser soll dem Anlass etwas Glanz verleihen, die Teilnehmenden motivieren oder mental aufrüsten. Der Auftritt besteht meist darin, seine Leistungen im Bereich Sport, Musik, Raumfahrt oder was auch immer auf eine Branche zu übertragen, von der er selbst keinerlei Ahnung hat.

  • Kernsatz: „Wenn du es wirklich mit aller Macht willst, wirst du es auch schaffen!“.

  • Take-away: „Hochspannend, wie viele Teller Spaghetti Triathleten so am Tag essen.“

Bundesrat

Eine besondere Prominentenkategorie bilden hierzulande Bundesräte. Die kann man nicht einfach so buchen, sondern es muss passen – in die physische und vor allem in die politische Agenda des Politikers. Limitierende Faktoren sind dabei die Talente des Ghostwriters (nicht jeder Bundesrat hat einen Peter Bichsel an der Hand!) und das rednerische Können des Darbietenden.

  • Kernsatz: „Gerade Ihre Branche ist aufgerufen, hier mit gutem Beispiel voranzugehen“.

  • Take-away: „Die Sommaruga sieht mittlerweile fast so alt aus wie ihre Energiepolitik“.

Natürlich braucht es für den Anlass neben Prominenz und Glamour auch noch inhaltliche Beiträge.

Elder Statesman

Ein sicherer Wert auf dem Speaker-Parcours ist da der „Elder Statesman“. Er kennt das Thema, die Branche und die Erwartungen der Anwesenden ganz genau. Da er mittlerweile nicht mehr operativ tätig ist, kann er offen reden und nimmt denn auch kein Blatt vor den Mund. Er lässt sein Wissen aufblitzen, ohne mit Details zu langweilen, macht das Thema fassbar und sorgt tatsächlich noch für Erkenntnisgewinn.

  • Kernsatz: „Mit diesen drei Fragen finden Sie heraus, ob sich ein Investment in Crypto-Währungen lohnt.“

  • Take-away: „Hey, das hat ja richtig was gebracht.“

Ingenieur

Da für Referate angefragte CEO vielbeschäftigt sind, lassen sie sich gern vertreten, oft durch einen Ingenieur, wobei damit weniger ein Studium als eine Einstellung charakterisiert werden soll. Die Komplexität seiner Gedankenwelt verrät er mit umfangreichen Tabellen und Grafiken. Besonders erbarmungslose Ingenieure legen die Foliennummerierung offen: Wenn dann der Referent nach zehn Minuten bei „Slide 4/93“ angekommen ist, verfällt das Auditorium in tiefe Depression.

  • Kernsatz: „Ich weiss, etwas viel auf dieser Folie. Ab der zweiten Reihe können Sie es vermutlich nicht mehr erkennen. Aber keine Angst, ich lese Ihnen alles vor“.

  • Take-away: „Hellblaue Schrift auf rosa Hintergrund – der arme Kerl ist sicher farbenblind.“

Verkäufer

Steht der Ingenieur nicht zur Verfügung, wird oft der Verkäufer aufgeboten. Er beginnt mit einer langfädigen Selbstdarstellung seines Arbeitgebers, in die er auch seinen eigenen Lebenslauf eingebaut hat. Zufällig hat es in seinem Produkteportfolio stets eine bahnbrechende Innovation oder eine Weltneuheit, die ein Problem löst, von dem noch nie jemand gehört hat.

  • Kernsatz: „Nach meiner Präsentation werden sie unsere Branche mit ganz anderen Augen sehen.“

  • Take-away: „In dieser heruntergekühlten Halle tat ein bisschen heisse Luft ganz gut…“

Quotenfrau

Bewusst wurde bisher für die Speaker nur die männliche Form verwendet, denn jetzt kommen wir noch zur Quotenfrau. Obwohl es unzählige hoch kompetente und rhetorisch begabte Powerfrauen gibt, sind die Panels immer noch überwiegend männlich besetzt. Dem Veranstalter fällt oft erst in letzter Minute auf, dass eine All-male-show heute nicht mehr gut ankommt und so treibt er von irgendwo her noch eine weibliche Speakerin auf.

  • Kernsatz: „Sie werden sich jetzt fragen, was ich zum Thema beitragen kann.“

  • Take-away: „Mit Stilettos sieht so ein Hosenanzug schon noch rassig aus.“

Letztlich sind die beste Speakerin und der beste Speaker allerdings nur der Aufgalopp zum wirklich relevanten Teil des Anlasses: dem Networkin-Apéro. Und trifft man dabei auf jemand, den man noch nicht kennt, gibt es für das Gespräch natürlich keinen besseren Einstieg, als über die gemeinsam erlebten und erduldeten Referenten herzuziehen.

Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Foto von Luis Quintero