Das Bezirksgericht in der niederländischen Hauptstadt Den Haag hat den Öl- und Gaskonzern Royal Dutch Shell verpflichtet, bis 2030 seine CO-Emissionen um 45 Prozent zu senken. Es folgt damit einer Klage von Umweltorganisationen und besorgten Bürgerinnen und Bürgern. Das Urteil ist eine Weltpremiere.

Tiefsee-Ölförderplattform vor der brasilianischen Küste (Bild: Roberto Rosa, Shell)

«Sie (gemeint sind die Firmen der Shell – Gruppe, heute Royal Dutch Shell RDS, Red.) müssen ihren Teil beitragen zu den notwendigen vorsorglichen Massnahmen zur Begrenzung des Ausstosses von Treibhausgasen. … Folgendes wird von ihnen erwartet: Reduktion der Treibhausgas-Emissionen in ihrem Betrieb und Unterstützung der Kunden, um dasselbe zu tun». So heisst es in einer Broschüre aus dem Jahr 1998, aus der das Bezirksgericht Den Haag in den Niederlanden, am Hauptsitz von RDS, beinah genüsslich zitiert, um zu illustrieren, wie sehr der Öl- und Gasförderkonzern mit einem nahezu halbierten Umsatz von 180,5 Milliarden US-Dollar und einem Verlust von 21,6 Milliarden im Corona-Jahr 2020 seine eigenen Selbstverpflichtungen vernachlässigt. Bis heute. Und deshalb hat das Gericht, das schon 2015 den niederländischen Staat verpflichtete, seine Vorgaben zu den CO2-Emissionen auch umzusetzen, RDS dazu verknurrt, bis 2030 seine CO2-Emissionen gegenüber dem Referenzjahr 2019 um 45 Prozent zu senken, und zwar nicht nur innerhalb der eigenen Geschäftstätigkeit, sondern auch auf allen Produkten, die der Konzern verkauft. Es hat damit einer Klage mehrerer Umweltorganisationen und von 17'000 Niederländerinnen und Niederländern stattgegeben. RDS, so heisst es in der Urteilsbegründung, engagiere sich zwar, mache aber zu vage, nicht bindende Vorgaben für eine Reduktion des Treibhausgasausstosses bis 2050 und gar keine bis zum Jahr 2030. Der Konzern mit rund 1000 Tochtergesellschaften richte sich dabei ausschliesslich an den als Vorgaben empfundenen Bedürfnissen der globalen Gesellschaft und der Kunden aus. Das sei zuwenig. Denn das Geschäft, das Royal Dutch Shell betreibe, sei «eine sehr ernsthafte Bedrohung mit einem hohen Risiko, dass die niederländische Gesellschaft und die Bewohner der Küstenregionen Schaden davontragen, und mit gravierenden Verletzungen von Menschenrechten, sowohl für die jetzige Generation als auch die nachfolgenden Generationen.» Jede CO2-Reduktion lindere diese Gefahr. Und RDS sei fähig, eine Reduktion durch eine veränderte Energieproduktion zu erreichen. Das rechtfertige eine Verpflichtung des gesamten, weltweit tätigen Konzern. Dieses Interesse überwiege das privatwirtschaftliche von RDS, der argumentiert habe, es drohten immense Verluste und Wettbewerbsnachteile. Der Konzern sei aber «komplett frei» in der Umsetzung dieser Verpflichtung. In der Begründung beruft sich das Gericht unter anderem auf das im niederländischen Zivilgesetz nicht näher umschriebene «angemessene soziale Verhalten», das auch bei Schadenersatzklagen zur Anwendung kommt.

Der Entscheid wird von RDS mit Sicherheit angefochten werden, ein jahrelanger Rechtsstreit dürfte die Folge sein. Doch die Verpflichtung durch das Gericht ist damit nicht aufgehoben. RDS muss sich also an die Arbeit machen. Und da gibt es viel zu tun. Die Niederländer müssen ihre gesamte Energieproduktion hinterfragen. Die bisherige Politik lief darauf hinaus, die CO2-Emissionen primär mit Aufforstungen indirekt zu kompensieren. Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass dazu Wälder von der Fläche Brasiliens gepflanzt werden müssten, um die 1,4 Milliarden Tonnen CO2 zu kompensieren, die alleine 2020 verursacht wurden – etwa das Doppelte der CO2-Emissionen Deutschlands. Während die Internationale Energieagentur den sofortigen Stopp aller Investitionen in nicht erneuerbare Energien verlangt, ist bei RDS bislang keine Rede davon. Das Urteil wird auch die Kritikerinnen und Kritiker im Aktionariat des Unternehmens bestätigen. 30 Prozent der Aktionärsstimmen entfielen an der letzten Generalversammlung auf einen Antrag, die Emissionen der Firma am Pariser Klimaabkommen von 2016 auszurichten.

Das Urteil ist weltweit das erste, das ein Unternehmen in die Klimapflicht nimmt. Es könnte eine ähnliche Signalwirkung entfalten wie jenes von 2016, das den niederländischen Staat verpflichtete und vor zwei Jahren vom höchsten niederländischen Gericht bestätigt wurde. Seither gab es eine ganze Reihe von Klimaklagen, unter anderem beim Europäischen Gerichtshof, wo die Klagenden unterlagen und beim deutschen Verfassungsgericht, das die Klage schützte. Noch hängig ist ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der dieses nun priorisiert hat.