Wir begehen dieser Tage ein Jubiläum: Zwei Jahre Corona-Pandemie. Grund genug, den Blick für einmal nicht auf das gewaltige menschliche Leid und die gesundheitspolitische Katastrophe zu richten, sondern zu analysieren, was uns die Pandemie alles an Positivem gebracht hat. Denn das ist gar nicht mal so wenig:
Offensichtlich ist, dass die Pandemie den beruflichen Stubenhockern den Garaus gemacht hat. Mit gütiger Hilfe des Bundesrats wurden die Arbeitenden aus den heimeligen Bürolandschaften vertrieben und mussten lernen, wie man vom Küchentisch oder vom Bügelbrett aus arbeitet, die Maus auf dem Schneidebrett balancierend, während es sich die Katze auf der Tastatur gemütlich macht. Vor allem war das bitter für diejenigen, welche nun nicht mehr auf den betriebseigenen Barista zurückgreifen können und den Kaffee selbst zubereiten mussten. Dafür wurden noch nie so viele Kaffeeautomaten und -maschinen für den Heimgebrauch geordert.
Nur ein Mausklick weniger
Eine Industrie, die nun noch mehr unter die Räder kommt, ist die Druckerbranche. Niemand kommt auf die Idee, zuhause eine 45-seitige Powerpoint-Präsentation farbig und ganzseitig auszudrucken – und zwar mehrmals, nur um den letzten Typo noch auszumerzen. Schliesslich sind die Druckpatronen teuer und die Qualität des Heimdrucker-Ausdrucks nur so mittel. Und plötzlich erkennt man, dass das papierlose Büro nur einen (unterlassenen) Mausklick entfernt ist. Dies unter normalen Umständen durchzusetzen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.
Soweit die offensichtlichen Vorteile der Homeoffice-Pflicht. Kommen wir nun jedoch zu den weniger offensichtlichen Vorteilen von Corona.
Corona hat aber auch der Schule gewaltig auf die Sprünge geholfen. Während der ganzen 2000er Jahre haben sich viele Lehrerinnen und Lehrer etwas darauf eingebildet, ihre Klassen als möglichst technikfreie Wohlfühlzonen zu führen. Ziel der digitalen Erziehung im Schulzimmer war, die Kinder möglichst vor den hässlichen Seiten von Facebook und Tiktok zu beschützen (was ja durchaus auch ein ehrenwertes Ziel ist). Plötzlich mussten Lehrpersonen jedoch innert Wochen zu ICT-Cracks mutieren, welche den gesamten Unterricht per via Zoom & Co. ausliefern.
Die Arbeitgeber haben von den Schulschliessungen ebenfalls profitiert. Wer hätte gedacht, dass die Mitarbeitenden mit der Zeit regelrecht darum betteln würden, wieder ins Büro gehen zu dürfen? Was Rutschbahnen, Billard- und Massagetische nicht geschafft haben, erledigte die Pandemie mit links.
Fast wie bei Teleboy
Aber auch die Medien haben profitiert, die Fragmentierung der Konsumenten in verschiedenen Bubbles hörte schlagartig auf. Es gab nur noch ein einziges Thema, und mit diesem konnte man das ganze Blatt füllen. In einer ersten Phase entstand wieder das Gefühl eines nationalen Lagerfeuers, um das sich das ganze Volk versammelt. Sowas gab es letztmals zu Zeiten von Teleboy, als auch alle über das gleiche Thema sprechen konnten. Die kürzlich angekündigte Auferstehung von „Wetten, dass…?“ und „Benissimo“ kommt somit nicht von ungefähr.
Ebenso vorteilhaft war die – immer noch anhaltende – Verschmelzung von Individual- und öffentlichem Verkehr, einem wichtigen Ziel der Politik. Wenn ich in letzter Zeit mit dem Intercity nach Romanshorn gefahren bin (was ich öfters tue), hatte ich immer ein Doppelstock-Waggon für mich allein. Wobei man sich mit Maske dann etwas blöd vorkommt. Aber das ist eine andere Geschichte
Corona ist auch eine Lektion in Demut. 2019 nannte man eine Grossbank systemrelevant, 2022 weiss man, es ist der Migros-Kassierer, die UPS-Paketbotin und der Hilfspfleger, der die Bettpfannen leert.
Corona und die Armee
Früher waren es primär die Männer, welche eine Ausbildung in praktischer Regionalgeografie erhielten, und zwar kostenlos durch die Schweizer Armee. Nachdem die Tauglichkeitsquoten immer weiter abgesunken sind, war man besorgt, wie sich der diesbezügliche Kenntnisstand der Bevölkerung über die Schweiz entwickeln würde. Corona sei Dank jettet man jedoch nicht mehr nach Bali in die Ferien, sondern geht campieren an den Klöntalersee. Und lernt endlich wieder einmal sein eigenes Land kennen.
Auch in anderen Bereichen findet eine Rückbesinnung statt. Es ist bekannt, dass unsere Jugend viel zu wenig über Geschichte weiss, obwohl es eine zentrale Disziplin ist, um die Gegenwart besser zu meistern. Zum Glück haben wir in der Pandemie Fortschritte gemacht, zumindest bei der Technikgeschichte: Dank dem Bundesamt für Gesundheit wissen auch Teenager wieder, was ein Fax ist.
Nun kann man all diese Vorteile der Pandemie je nach Standpunkt unterschiedlich gewichten, aber an einer zentralen Erkenntnis kommt wohl niemand vorbei – ich spreche natürlich von der bildungspolitischen Dimension: Es ist unserem Land mit vereinten Kräften tatsächlich gelungen, dank Corona in nur zwei Jahren acht Millionen Epidemiologen zu produzieren!
Dieser Beitrag erschien in weitgehend identischer Form in meiner Kolumne “Von Hensch zu Mensch” auf inside-it.ch und inside-channels.ch. Photo by Cristian Tarzi on Unsplash