Es ward Licht

Es ist der 29. Oktober 1969, um 22:30 Uhr, erstmals «kommunizieren» zwei Computer miteinander. Aus der University of California in Los Angeles (UCLA) sendet ein Rechner über das Arpanet eine Mitteilung an einen zweiten Rechner ins Stanford Research Institute (SRI) im kalifornischen Menlo Park. Die Mitteilung soll die Buchstabenfolge «login» umfassen. Doch plötzlich, nach dem zweiten Buchstaben, bricht die Verbindung ab.

Screenshot aus Lo And Behold: «Reveries of the Connected World — Official Trailer»

Die erste computervermittelte Mitteilung lautet also bloss: «lo». Sie inspiriert Leonard Kleinrock dazu, diesen historischen Moment in Werner Herzogs Dokumentarfilm über das Internet mit den biblischen Worten «lo and behold» zu deuten. Übersetzen lässt sich die Redewendung mit: «Und siehe, es ward Licht».

Kommunikation neu erkunden

1969 erblickte auch ich das Licht der Welt. Seither hat ein epochaler Medienwechsel stattgefunden. Er ist vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks vor 500 Jahren (siehe «Dirk Baecker zu den Thesen der nächsten Gesellschaft»). Wie im Nachgang zur Erfindung des Buchdrucks erleben wir auch heute eine Zeit voller Brüche und Umbrüche. Unsere Gesellschaft formiert sich neue. Vermutlich rührt daher meine starke Faszination für Kommunikation.

Ich erinnere mich noch an die Zeit ohne Internet. Die Computerisierung und Verdrahtung der Gesellschaft habe ich Schritt für Schritt miterlebt. Ich war fasziniert. Ich war voller Erwartungen. Und meinen jungen Jahren geschuldet, war ich nicht ohne Hoffnung: Freier Zugang zu Informationen. Vorbehaltloses Teilen von Wissen. Konstruktiver Austausch. Gemeinsames Lernen. Neue Formen der Zusammenarbeit. Die «Weltgesellschaft» in greifbarer Nähe. Doch die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Der aufkommende Überwachungskapitalismus und Überwachungsstaat haben sie zerschlagen.

Heute beobachte ich den Medienwechsel aus einer nüchterneren, vielleicht auch aufgeklärteren Perspektive: Wie konnte ich – wie konnten wir – Hoffnungen und Erwartungen, die der Logik einer im Horizont verblassenden Medienepoche entsprangen, an eine neues Leitmedium knüpfen? Das Internet ist eben kein neuer Schlauch für alten Wein. Es geht beim aktuellen Medienwechsel um etwas ganz anderes. Dieses Andere können wir nur nicht benennen, weil wir es (noch) nicht kennen, weil uns die Praxis und Übung im Umgang mit ihm fehlt – noch heute: 50 Jahre nachdem die ersten zwei Computer miteinander kommuniziert haben.

Was also bedeutet der Medienwechsel: Für mich? Für dich? Für uns alle? Antworten auf diese Fragen erhalten wir nur, wenn wir Kommunikation neu erkunden – ganz neu. Noch ist unser Umgang mit dem Internet vom kausal-linearen und hierarchischen Denken des Buchdrucks geprägt, während die zirkuläre Netzkommunikation längst von Computern, Programmen und Algorithmen dominiert wird. Allen spöttischen und besserwisserischen Kommentaren zum Trotz: Das Internet ist eben doch «Neuland». 

Deshalb lade ich dich auf eine Reise in dieses Neuland ein. Erkunden wir gemeinsam Kommunikation neu, indem wir unsere Erfahrungen mit und unsere Beobachtungen über das Internet teilen, sie kommentieren und diskutieren – und nicht zuletzt: neue Dinge ausprobieren. Denn alles, was wir über den Medienwechsel wissen können, stammt aus unseren Erlebnissen und Erfahrungen.