Während nukleare und fossile Lobbyisten weiter den Teufel an die Wand malen und der Schweiz eine düstere Energiezukunft herbeireden, wenn nicht weiter auf fossile Brennstoffe und Atomenergie gesetzt wird, ringt die Politik um die Neuausrichtung der Klimapolitik nach dem Scheitern des CO2-Gesetzes an der Urne. Der aktuelle Monitoring-Bericht zur Energiestrategie 2050 bestätigt einerseits den bisherigen Kurs und zeigt anderseits den enormen Handlungsbedarf.

Solarkraftwerk an der Staumauer des Muttsees im Glarnerland. Diese im Winter sehr effektiven Kraftwerke sollen helfen, Stromlücken zu schliessen (Bild: Alpinsolar)

Ein Bündnis aus der rechtskonservativen SVP und der vom ehemaligen SVP-Präsidenten Albert Rösti präsidierten Erdöllobbyorganisation Avenergy hatte im vergangenen Juni mit teils geradezu grotesken Zerrbildern wesentlich dazu beigetragen, dass das CO2-Gesetz an der Urne versenkt wurde. Vor allem auf dem Land hatte das Gesetz keine Chance. Besonders verfänglich war die Behauptung, die Schweiz sei ja auf Kurs. Der aktuelle Monitoringbericht zur Energiestrategie 2050 könnte dazu verleiten, den SVP-Propagandisten recht zu geben. Denn tatsächlich ist die Schweiz auf Kurs von Vorgaben, die allerdings angesichts der Entwicklung der Erderwärmung und der Einsicht, dass diese sich nur begrenzen lässt, wenn es gelingt, bis 2050 die CO2-Emissionen auf Null zu senken, längst überholt sind. So ist der Endenergieverbrauch pro Kopf 2020 gegenüber dem Referenzjahr 2000 um 20,8 Prozent gesunken. Der Richtwert lag bei 16 Prozent. Und selbst wenn man berücksichtigt, das wegen des praktisch zum Erliegen gekommenen Flugverkehrs der Rückgang stark relativiert werden muss, ist die Leistung beeindruckend. Denn die Schweizer Bevölkerung wuchs in den vergangenen zwei Jahrzehnten um 20,2 Prozent. Nach damaliger Vorstellung war es denn auch primär darum gegangen, Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum vom Energieverbrauch zu entkoppeln. Diese Entkoppelung ist auch beim CO2-Ausstoss pro Kopf gelungen. Im Jahr 2000 waren es noch 5,8 Tonnen gewesen. Bis 2020 ist dieser Wert auf rund 4 Tonnen gesunken. Mit diesem Tempo könnte es tatsächlich gelingen, das damalige Ziel, eine Begrenzung der CO2-Emissionen pro Kopf auf 1 bis 1,5 Tonnen bis in Jahr 2050 zu schaffen. Zu berücksichtigen gilt, dass in dieser Statistik die in importierten Gütern enthaltenen CO2-Emissionen nicht erfasst sind. Die Emissionen pro Kopf liegen dann um mindestens zwei Drittel höher. Dazu kommt, dass es der Schweiz nur schleppend gelingt, von der grossen Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen wegzukommen. 2020 lag der Anteil noch bei 59 Prozent. Nimmt man die Kernbrennstoffe dazu, hängt die Schweiz zu knapp 72 Prozent am Tropf von Energieimporten. 2006, beim historischen Höchststand, waren es zehn Prozent mehr gewesen.

Der Bundesrat hat inzwischen ein neues CO2-Gesetz vorgelegt, dass im wesentlichen darauf verzichtet, über Steuererhöhungen auf fossile Brennstoffe Klimaschutz teilweise zu finanzieren und stattdessen versucht, über Anreize und indirekte Förderungen den unabdingbaren Umstieg auf erneuerbare Energien zu beschleunigen. Dass damit ausgerechnet jene Haushalte bestraft werden, die sich klimafreundlich verhalten, ist ein unschöner Aspekt dieser Neuausrichtung. Damit soll immerhin das Ziel erreicht werden, die Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 zu halbieren, allerdings auch nur dank CO2-Kompensationen im Ausland. Dazu hat sich die Schweiz im Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet. Und wenn es nach der Regierung geht, so greift sie den Gedanken des Volksbegehrens der «Gletscherinitiative» auf und will den Auftrag, bis 2050 CO2- neutral zu werden, in der Verfassung verankern. Das wird vor dem Hintergrund des abgelehnten CO2-Gesetzes eine sehr hohe Hürde werden. Derzeit wird es gelten, das abgespeckte CO2-Gesetz ungerupft durch die parlamentarischen Beratungen zu bringen und zu hoffen, dass es, so das Referendum ergriffen werden sollte, auch an der Urne besteht. Ob sich damit dann auch nur das Zwischenziel im Jahr 2030 erreichen lässt, steht in den Sternen. Denn ob Anreize genügen werden, etwa das beabsichtigte faktische Verbot von Ölheizungen zu erreichen, dürfte fraglich sein. Auch der durch verschärfte Emissionsvorschriften in Anpassung an den Kurs der EU erhoffte Umstieg auf elektrisch betriebene Fahrzeuge gleicht einer Gratwanderung. Die Importeure müssten zwar Bussen bezahlen, wenn sie diese nicht einhalten, doch ein Verbot von Verbrennungsmotoren, wie es die EU bis 2035 anstrebt, sieht anders aus.

Die ganz grosse Hürde wird aber der Umbau der Energieversorgung auf erneuerbare Quellen sein. Denn es wird ja nicht nur gelten, die verbliebenen drei Atomkraftwerke, die noch solange betrieben werden dürfen, als dass sie als sicher gelten, über kurz oder lang zu ersetzen, sondern auch die fossilen Brennstoffe. Die Regierung beteuert, dass das zu schaffen sei und hat mit der Energieperspektive 2050+ auch einen Plan vorgelegt. Wie weit dieser Weg noch ist, zeigt der Blick auf die Photovoltaik, die künftig neben den Wasserkraftwerken den Hauptanteil an der Energieversorgung leisten soll. So ist es zwar gelungen, das Tempo des Ausbaus in den vergangenen Jahren deutlich zu steigern und damit entscheidend dazu beizutragen, dass der gesetzlich verankerte Richtwert von 4400 Gigawattstunden im Jahr 2020 sogar leicht übertroffen wurde. 7,2 Prozent der Elektrizitätsproduktion stammen heute aus erneuerbaren Quellen (ohne Wasserkraft, die etwa das Achtfache an Energie liefert). Das ist eine Verdreifachung in zehn Jahren. Im Durchschnitt lag der Zuwachs bei 309 Gigawattstunden pro Jahr. Um die bisherige Vorgabe für das Jahr 2035 zu erreichen, muss dieser Zubau um etwa die Hälfte gesteigert werden, um aber auf Netto-Null-Kurs für 2050 zu bleiben, sind es pro Jahr zusätzlich gut 500 Gigawattstunden. Diese Vorgabe ist aber noch nicht in die Gesetzestafel gemeisselt, sondern muss durch die parlamentarischen Mühlen. Klar ist schon jetzt: mit den bisherigen Fördermassnahmen wird es unmöglich sein, dieses Ziel zu erreichen.

Derweil geistert ein neues Gespenst durch die Medien: die «Stromlücke». Im Spätwinter 2025 soll es nach einem von der Regierung in Auftrag gegebenen Szenario während rund zwei Tagen zu einer Unterversorgung mit Elektrizität kommen, weil die Europäische Union sich gerade daran macht, die eigene Stromversorgung zu sichern und im Falle von Stromknappheit die Lieferungen ins EU-Ausland zu reduzieren oder gar zu kappen. Die Mitgliedsstaaten sind gehalten, 70 Prozent ihrer Produktion innerhalb der EU zu belassen. Mit dem zunehmenden Ausbau erneuerbaren Energien, die von Wind und Sonne abhängig sind, wird die Speicherung der Elektrizität, etwa um die Mittagszeit oder an windreichen Tagen, zum Problem. Windräder müssen deshalb schon jetzt abgeschaltet werden, ausgerechnet dann, wenn sie auf Hochtouren laufen. Die vorhandenen Speicherseen reichen nirgends hin, und noch stecken andere Technologien in den Startlöchern. Mit einem forcierten Ausbau der Fernübertragungsnetze sind solche Stromlücken in einem europäischen Verbund aber durchaus vermeidbar. Wenn es im Nordatlantik nachts heftig windet, kann der Windstrom in Südeuropa abgesetzt werden – und umgekehrt. Parallel dazu ist die Entwicklung alternativer Speichermethoden aber unabdingbar.

Die Schweiz bleibt allerdings bis auf weiteres aussen vor. Das hat politische Gründe. Der Bundesrat hat die Verhandlungen für ein Rahmenabkommen mit der Europäischen Union, zu dem auch ein Stromabkommen gezählt hätte, im Mai 2021 abgebrochen. Der in der Studie beschriebene Worst Case wäre ein vertragsloser Zustand im Jahr 2025, wenn die 70 Prozent – Regel in der EU gilt. Doch es müsste schon noch einiges mehr zusammenkommen für die Stromlücke: Das AKW Beznau wäre abgeschaltet, dazu eine ganze Reihe von französischen AKW, die Speicherseen wären leer, und die Nachbarländer würden die 70 Prozent-Regel sogar übererfüllen. Tatsächlich ist es im Kern ein politisches Problem. Die Europäische Union bietet seit Jahren Hand für ein Stromabkommen, knüpft dieses aber an Bedingungen, die letztlich eine engere Anbindung der Schweiz an die EU-Regelwerke bedingen, was entscheidend zum Scheitern der Verhandlungen beitrug. Unlösbar erscheint das Problem deshalb aber keineswegs.

Für die Lobbyisten der konventionellen Energieversorgung ist die mit schwarzen Strichen gemalte Stromlücke ein gefundenes Fressen. Sie tun, gestärkt durch die gewonnene Abstimmung zum CO2-Gesetz, was sie seit Jahrzehnten getan haben: den Teufel an die Wand malen und der Bevölkerung weismachen, sie zahle einen viel zu hohen Preis für die Energiewende. Die SVP fordert inzwischen offen den Bau von neuen AKW und absurderweise, dass die bestehenden weiter laufen gelassen werden – was ja längst der Fall ist, zumindest solange, als sie die geltenden Sicherheitsstandards erfüllen. Mit einem Volksbegehren soll die gesetzliche Vorgabe, dass keine neuen AKW mehr gebaut werden dürfen, ausgehebelt werden. Dazu, davon ist auszugehen, wird eine Verzögerungstaktik kommen, die den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien torpediert. Das könnte Sachzwänge schaffen, die etwa den Bau von Gaskombikraftwerken erzwingen, um die dann tatsächlich vorhandenen Stromlücken zu schliessen – und einen Meinungsumschwung bewirken könnten, der auch den Bau von Atomkraftwerken wieder möglich macht. Dass es dannzumal viel zu spät sein wird, um auch nur an eine Netto-Null im Jahr 2050 zu denken, gehört zum zynischen Kalkül. Denn, so die nicht minder zynische Argumentation, die Schweiz sei als kleines Land ja sowieso völlig irrelevant für die Klimaerwärmung.