Der jüngste Bericht des Weltklimarates IPCC liest sich wie eine Steilvorlage für die ganze Welt, nun Ernst zu machen mit dem Klimaschutz und der Energiewende. Denn kein Flecken dieser Erde bleibt schon heute unberührt, der eine, namentlich im hohen Norden und der marinen Inselwelt, mehr, der andere, namentlich in den Tropen, weniger. Doch es wird schon beinahe zur Gewissheit: Das erklärte Klimaziel, die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad bis 2050, wird verfehlt, auch das Zwei-Grad-Ziel ist nur mit grösster Anstrengung weltweit zu schaffen. Nun zählt jede Tonne CO2 doppelt.

Um 30 Milliarden Tonnen CO2 stösst die Menschheit derzeit jährlich in die Atmosphäre aus. Das von den IPCC-Experten ab dem Jahr 2020 mit einer Wahrscheinlichkeit von 83 Prozent berechnete Restbudget von 300 Milliarden Tonnen, das nicht überschritten werden darf, um die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, würde damit schon im Jahr 2030 überschritten. Die 900 Milliarden Tonnen, die noch zur Verfügung stehen, um das Ziel von zwei Grad mit derselben Wahrscheinlichkeit zu erreichen, würden im Jahr 2050 überschritten. Angesichts des nach wie vor viel zu gemächlichen Tempos, in dem der Klimagasausstoss weltweit reduziert wird, sind die 1,5 Grad mit Sicherheit nicht mehr zu schaffen, und auch die zwei Grad rücken zunehmend in den Bereich des Unwahrscheinlichen. Die 230 Autorinnen und Autoren, des Klimaberichtes, allesamt Experten, rekrutieren sich rund um den Globus, sie sind alle ehrenamtlich tätig und nicht interessensgebunden, und sie hüten sich vor solchen Schlussfolgerungen. Das sei nicht ihre Aufgabe. Das klingt nach einer Ausrede, aber wer das sich ausbreitende Misstrauen gegenüber der Wissenschaft berücksichtigt, muss froh sein um die grosse Sachlichkeit und, gerade als Laie, auch um die derzeit nur in den wichtigsten Weltsprachen, zu denen Deutsch nicht zählt, verfügbare, 42-seitige Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger, in der weitgehend gut verständlich der Sachverhalt dargelegt wird. Dazu kommt, dass alle 196 Regierungen, die das Klimaabkommen von Paris unterzeichnet haben, in der Redaktion der Zusammenfassung vertreten waren – und offenbar darauf verzichtet haben, diese zu verwässern, wie einer der Experten, Erich Fischer von der ETZ Zürich, gegenüber der NZZ erklärte. Im Wesentlichen bestätigt der Klimabericht, was schon in den letzten Berichten Thema war, aber er ist deutlich präziser geworden, die Schwankungsbreite der berechneten Szenarien ist geschrumpft, die Gewissheit über das künftige Geschehen gestiegen, und die Rekonstruktion der jüngeren Klimageschichte hat ein hohes Niveau erreicht. «Very likely» (sehr wahrscheinlich) ist etwa die hauptsächlich vom Menschen verursachte Klimerwärmung von 1,1 Grad der letzten 200 Jahre, «high confidence» (hohes Vertrauen) besteht in die Beobachtung, das die CO2-Konzentration in der Atmosphäre in den vergangenen zwei Millionen Jahren zu keinem Zeitpunkt höher lag als 2019. Die fünf Szenarien der künftigen Entwicklung basieren auf sozio-ökonmischen Erkenntnissen, das pessimistische, SSP5-8.5, lässt in den zwei Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts einen Temperaturanstieg von knapp viereinhalb Grad gegenüber der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwarten, das optimistische, SSP1-1.9, begrenzt diesen auf 1,4 Grad, mit einem Zwischenhoch um die Jahrhundertmitte. Angesichts der weltweit zunehmenden Bekenntnisse und Bemühungen erscheint das mittlere Szenario, das eine Erwärmung von bis zu 2,7 Grad erwarten lässt, am wahrscheinlichsten. Das ist keine gute Aussicht. Denn eine sich zunehmend erhärtende Erkenntnis lässt erwarten, dass die Folgen der Klimaerwärmung mit jedem Zehntelgrad schon fast exponentiell zunehmen. So würden sich die statistische alle zehn Jahre zu erwartenden Starkniederschläge um 30 Prozent häufen, bei 1,5 Grad wären es nur 10,5 Prozent, Hitzewellen, wie sie heute alle 50 Jahre zu erwarten sind, würden sich 13,9mal häufiger ereignen. Die Klimaprognostik ist heute auch soweit, dass für Grossregionen, etwa den Mittelmeerraum oder Mittel- und Westeuropa, Szenarien mit hoher Eintretenswahrscheinlichkeit entwickelt werden können.

Der Klimabericht macht es so deutlich wie nie zuvor: Der Handlungsbedarf ist gross, auf der ganzen Welt, und es bleiben nur noch wenig Jahre für die entscheidenden Weichenstellung, um von der Abhängigkeit der fossilen Rohstoffe wegzukommen. Die Energiequelle von 126’000 der 160'000 Terrawattstunden die 2019 verbraucht wurden, waren nicht erneuerbar. Sie müssen binnen von nur drei Jahrzehnten ersetzt oder eingespart werden.