Am Klimagipfel in Glasgow, der am kommenden Wochenende beginnt, müssen die Weichen gestellt werden, um die Erderwärmung auf ein erträgliches Mass zu begrenzen. Es sieht gar nicht danach aus, dass dies gelingen wird.

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«Wir sind noch meilenweit davon entfernt von dem, was die Wissenschaft uns empfiehlt.» Patricia Espinosa, die Klimabeautragte der Vereinten Nationen, nimmt wenige Tage vor Beginn der Klimakonferenz in Glasgow kein Blatt vor den Mund. «Die Länder müssen ihre Anstrengungen zur Begrenzung der Klimaerwärmung verdoppeln. Und zwar jetzt.» 192 Staaten, also fast die ganze Welt, haben 2015 das Pariser Klimabkommen unterzeichnet und sich damit verpflichtet, die Klimaerwärmung auf 1,5, maximal aber 2 Grad zu begrenzen. Und sie haben sich verpflichtet, regelmässig Bericht zu erstatten über ihren Weg zu diesem Ziel. 143 Länder sind dieser Verpflichtung im Vorfeld des Klimagipfels bislang nachgekommen. Der prominenteste Abwesende ist der grösste CO2-Emittent: China. Die eingereichten Klimapläne der 143 Staaten lassen bis 2030 laut einem Bericht des Klimasekretariats der Vereinten Nationen in Bonn eine Reduktion der Treibhausgas-Emissionen um neun Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2010 erwarten. 71 Länder haben sich darüber hinaus verpflichtet, ihre Emissionen bis 2050 auf Null zu reduzieren. Mit den derzeitigen Massnahmenpaketen ist das aber nicht zu schaffen. Das Klimasekretariat geht von einem Rückgang gegenüber 2019 um 83 bis 88 Prozent aus. Das wäre, wenn denn die ganze Welt mitmachen würde, Grund zur guten Hoffnung. Doch die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Nimmt man die Klimapolitik aller 192 Unterzeichnerstaaten zum Massstab, geht das Klimasekretariat von einem Anstieg des Treibhausgasausstosses um 16 Prozent bis 2030 (gegenüber dem Referenzjahr 2010) aus. Der Weltklimarat rechnet bei diesem Szenario mit einem Temperaturanstieg um 2,7 Grad bis 2100. Um auf dem Klimapfad zu bleiben, wäre eine Reduktion im 455 Prozent nötig. Bei einer Begrenzung auf zwei Grad wären es noch immer 25 Prozent.

Die Alarmglocke geläutet hat auch UN-Generalsekretär António Guterres. «Ich möchte meinen Enkelkindern nicht erklären müssen, der Planet werde zur Hölle, und ich hätte nicht genug getan, um das zu verhindern», sagte der 72-jährige Portugiese in einem Interview mit der Washington Post. «Das ist die wichtigste politische Schlacht in meinem ganzen Berufsleben. Und deshalb bin ich einerseits voller Befürchtungen, anderseits gibt es noch Hoffnung». Beängstigend sei das langsame Tempo der Klimaschutzmassnahmen und ein Klima des Misstrauens namentlich zwischen entwickelten Staaten und Entwicklungsländern. Die Industriestaaten behaupteten, sie hätten ihre Pflicht getan und sich verpflichtet, bis 2050 ihre Emissionen auf Null zu reduzieren. «Doch dabei lassen sie ausser Acht, dass sie dieses Ziel vor 2050 erreichen müssen, um den Schwellen- und Entwicklungsländern mehr Zeit zu lassen, um ihrer Verpflichtung nachzukommen». Glasgow könnte deshalb zum Gipfel der verpassten Chance werden. «Und dafür haben wir keine Zeit mehr.» Aber es gebe auch Hoffnung. «Ich sehe ein wachsendes Bewusstsein für die Tatsache, dass wir am Abgrund stehen.» Aber es gelte auch zu berücksichtigen, dass jeder Wandel Gewinner und Verlierer verursache. Die grüne Wirtschaft der Zukunft werde eine Menge Arbeitsplätze schaffen, doch es würden auch Jobs verloren gehen. «Es ist essentiell, dass wir diese Menschen nicht im Stich lassen.» Was nütze es, wenn eine Million Arbeitsplatze entstünden, aber jene, die ihre Stellen verlieren, nicht davon profitierten. «Im heutigen medialen Umfeld haben 100 Verlierer ein grösseres Stimmengewicht als 1000 Gewinner.» Guterrez relativierte aber auch seine eigene Rolle. Die Vereinten Nationen seien als multilaterale Institution zahnlos. Und selbst wenn sie einmal Zähne zeigten, so fehle der Mut, um auch zuzubeissen. Die UNO müsse aber fähig sein, eine Führungsrolle einzunehmen. «Leider gehen Macht und Führung in der Welt nicht komform. Manchmal zeige sich Führung dort, wo es keine Macht gebe, und manchmal Macht, wo es keine Führung gibt. Das Risiko ist gross, dass es auch beim Klimawandel so laufen wird.» Und sollten die Verhandlungen in Glasgow scheitern, «starten wir am nächsten Tag neu. Gib niemals auf. Aber wer das sagt, verpasst es vielleicht, den Strohhalm zu fassen.»