Tschernobyl-Aids nennen die Betroffenen die durch Strahlenschäden bewirkten Folgeerkrankungen des Super-Gaus von 1986. Es sind wahrscheinlich Hunderttausende. Die Ärztinnen und Ärzte für soziale Verantwortung / zur Verhütung des Atomkrieges PSR/IPPNW zeigen nun: Auch in der Schweiz ist die Zahl der Opfer weit höher als gemeinhin angenommen.
Eine Menschengeneration liegt die atomaren Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 nun zurück. Die Spätfolgen zeigen sich in den am stärksten betroffenen Gebieten in Belarus und der Ukraine mit verheerender Konsequenz, in der Natur, am Menschen. Verstrahlt wurden aber auch weite Gebiete Europas. Für die Schweiz betrug die kumulierte Strahlendosis bis 2005 3500 Sievert. Inzwischen gibt es eine Vielzahl epidemiologischer Studien zu den gesundheitlichen Folgen. In der Schweiz ist danach von 400 Krebstoten auszugehen, die bereits verstorben sind oder noch an einer Krebserkrankung sterben werden. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit, wie der Onkologie Claudio Knüsli in einem Hintergrundbericht feststellt. Denn es kam auch zu einer erhöhten Säuglingssterblichkeit und mehr Fehlgeburten. 400 Fehlgeburten in den ersten 20 Jahren zeigt die Auswertung der Statistiken an. Auch die Säuglingssterblichkeit ist um rund 10 Prozent gestiegen. Dazu kommt eine deutliche Verschiebung des Geschlechterverhältnisses bei Geburt. Rechnerisch fehlen zwischen 1987 und 2019 um die 3200 Mädchengeburten. In den Katastrophengebieten in Belarus sind die Folgen noch weit schlimmer, während in den USA, die vom Fallout verschont blieben, keine Zunahme zu beobachten ist. Es liegt demnach, so Krüsi, an der Strahlendosis, die auch schon in geringem Ausmass fatale Folgen haben kann. IPPNW und die Energiestiftung Schweiz fordern die Behörden deshalb auf, die Strahlenschutzbestimmungen entsprechend anzupassen. Denn: Diese Beobachtungen bestätigen, dass es keine unbedenkliche Strahlendosis gibt, sei sie noch so klein.