Der Anstieg des Meeresspiegels trifft Inselstaaten wie die Malediven ins Mark, die Gletscherschmelze bedroht in mausarmen Ländern wie Nepal das Wohlergehen von Millionen Menschen. Die am stärksten betroffenen Länder forcieren den Klimaschutz wie nur wenige andere. Doch ihnen fehlt das Geld dafür. Die reichen Länder halten sich trotz anderweitiger Versprechungen mit der Unterstützung zurück.

Korallenbleiche auf den Malediven, eine Folge extrem hoher Wassertemperaturen. (Bild: Matt Kiefer)

«Wir werden der Welt verloren gehen, wenn der Meeresspiegel rascher ansteigt als unsere Deiche.» Hussain Rasheed Hassan, Umweltminister der Malediven, wählt gegenüber «Climate Home News» drastische Worte, um auf die dramatische Lage des bei bei Strandtouristen beliebten tropischen Inselstaates im Indischen Ozean hinzuweisen. Die höchste Erhebung liegt bei 2,4 Metern über Meer, der einzige Schutz vor den Monsun-Überflutungen sind Korallenriffe, die durch Übernutzung und von der Korallenbleiche schwer geschädigt sind. Dazu kommt der Anstieg des Meeresspiegels. Vor einem Jahrzehnt gehegte Pläne, durch Landkäufe auf Sri Lanka oder Australien den 400 000 Einwohnerinnen und Einwohnern neue Perspektiven zu eröffnen, sind aus Geldmangel, aber auch der Einsicht, dass es ein Überleben auf den Malediven möglich ist, wenn es gelingt, die Klimaerwärmung zu begrenzen und die Küsten zu sichern. 8,8 Milliarden Dollar sind für den Schutz der 30 bewohnten Inseln budgetiert. Die Malediven setzen dabei auch auf die internationale Staatengemeinschaft. «Wir tragen mit drei Tausendstel Prozent zu den Klimagas-Emissionen bei», sagt Hussain Rasheed Hassan. Die Malediven seien nicht verantwortlich für die Schäden des Klimawandels. «Deshalb erwarten wir, dass wir für die Folgen entschädigt werden.»

Die Malediven zählen zu einer Minderheit von 34 Staaten und Staatengemeinschaften, die das an der Pariser Klimakonferenz 2015 abgegebene Versprechen, bis Ende 2020 ihre nationalen Pläne zur Reduktion ihrer Klimagasemissionen zu aktualisieren, gehalten haben. Davon haben allerdings nur gerade deren vier ambitionierte Ziele verkündet, unter ihnen die Europäische Union und die Malediven. Um 26 Prozent möchte der Inselstaat bis 2030 seine CO2-Emissionen gegenüber dem Referenzjahr 2011 reduzieren, am liebsten aber auf Netto-Null kommen, um ein Zeichen zu setzen. Netto-Null, das würde, unter Anrechnung allfälliger CO2-Senken, dem Ziel entsprechen, das sich, wenn überhaupt, einige Länder für das Jahr 2050 gesetzt haben. Um dieses Zeichen zu setzen, appellieren die Malediven an die Internationale Gemeinschaft.

Sie sind damit nicht alleine. Und sie sind nicht die einzigen, die allen Grund haben, sich im Stich gelassen zu fühlen. Zum Beispiel Nepal: Eines der armen Länder der Welt, am Dach der Welt gelegen, mit Klimazonen von der subtropischen Terai, wo der Monsun in Zeiten des Klimawandels für immer gewaltigere Überschwemmungen sorgt, bis zu den Gletscherlandschaften des Himalaya, die in den vergangenen 20 Jahrzehnten doppelt so schnell abgeschmolzen sind wie zuvor. Selbst wenn es gelingt, die Klimaerwärmung auf 1, 5 Grad zu begrenzen, könnte ein Drittel des ewigen Eises wegschmelzen. Nepal hat sein Bruttoinland pro Kopf im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt auf 1'085 US-Dollar (vor der Covid19-Krise), wovon ein beträchtlicher Teil aus Überweisungen migrierter Nepali stammt. Knapp ein Viertel der Bevölkerung (28 Millionen Einwohner) leben in extremer Amut, eine Halbierung binnen dreier Jahrzehnte. Auch Nepal hat der UNO seinen aktualisierten Zehnjahres-Plan zur Reduktion der Treibhausgasemissionen präsentiert. Er sieht unter anderem den Ausbau der Wasserkraftnutzung, die Elektrifizierung des Bahnverkehrs und von Teilen des Strassenverkehrs, den weiteren Aufbau von selbst verwalteten Forstgemeinschaften, die sich als effektivstes Mittel gegen die Entwaldung erwiesen haben oder die Umstellung von Kohle auf Gas in der Zementindustrie vor. «Nepal hofft auf finanzielle Unterstützung und weiteren Support aller Art», heisst es in dem Bericht. Denn wie soll das Land die rund 28 Milliarden Dollar aufbringen, die für die Umsetzung des Zehnjahresplanes zum Klimaschutz budgetiert sind? Das Staats-Jahresbudget liegt bei knapp der Hälfte, das Bruttoinlandprodukt entspricht ziemlich exakt diesem Betrag. Das bedeutet, dass Nepal jährlich einen Zehntel seiner Wirtschaftsleistung für den Klimaschutz investieren müsste. Zum Vergleich: Für die Schweiz würde dies jährlich rund 70 Milliarden Franken entsprechen – eine Summe, die auch eines der reichsten Länder der Welt kaum zu stemmen in der Lage wäre. In der Wirklichkeit internationaler Klimafinanzhilfen hat Nepal in den Jahren 2003 bis 2019 insgesamt 233 Millionen US-Dollar – im Jahresdurchschnitt knapp 15 Millionen.

2020 war das zweitwärmste Jahr seit Messbeginn. Mehr als 50 Millionen Menschen waren von Dürren, Überschwemmungen oder extremen Stürmen betroffen. Nach einem Bericht des UN-Büros für Katastrophen und Risikoreduktion (UNDDR) summieren sich die Schäden von 7'348 Naturkatastrophen in den vergangenen zwanzig Jahren auf knapp drei Billionen Dollar. 1,23 Millionen Menschen starben. In den Jahren 1980 – 2000 waren 4'212 solche Ereignisse verzeichnet worden. Hauptsächlich verantwortlich für diesen drastischen Anstieg sei der Klimawandel. So waren 40 Prozent der Katastrophen auf Fluten zurückzuführen. UNDDR-Chefin Mami Mitzutori spricht der Internationalen Gemeinschaft ins Gewissen. Es sei ihr ein Rätsel, dass die Staaten weiter am Ast sägten, auf dem wir alle sitzen, «obwohl die wissenschaftliche Evidenz dafür spricht, dass wir unsere eigene Heimat in eine unbewohnbare Hölle für Millionen Menschen verwandeln.»

Ganz tatenlos ist die internationale Gemeinschaft nicht. Im Pariser Klimabkommen von 2015 haben sich die reichen Staaten verpflichtet, den armen Ländern dabei zu helfen, die Folgen des Klimawandels zu lindern, nicht nur aus der Einsicht heraus, dass sie mehr Geld haben, sondern auch, dass sie für den Grossteil des Klimawandels die Verantwortung tragen. Nepal und mit dem Himalaya-Staat viele arme Länder setzen auf dieses Versprechen. Von 100 Milliarden Dollar jährlich ab 2020 war damals die Rede. Nun sind es, wie ein Bericht des UN-Umweltprogrammes zeigt, nur 30 Milliarden geworden. 70 Milliarden wären nötig gewesen, und der Finanzbedarf dürfte in den nächsten Jahren noch rapide zunehmen, auf bis zu 300 Milliarden im Jahr 2030. Dazu kommt, dass der Grossteil der Gelder wenig effizient eingesetzt werden.  Vergleichsweise preisgünstig wären Investitionen in den Erhalt natürlicher Ressourcen. Ein intakter Mangrovenwald dient als wertvolle Barriere gegen Stürme und stoppt die Küstenerosion, Korallenriffe sind die besten Wellenbrecher. Doch nur 14 Prozent des Geldes fliessen in solche Massnahmen. Längst hat nun der unwürdige Wettlauf um die spärlicher fliessenden Hilfsgelder begonnen, und es steht auch die Frage im Raum, ob es angesichts der weltweit in den tropischen Meeren grassierenden Korallenbleiche, der Gletscherschmelze und vor allem der zunehmend zur Gewissheit werdenden Befürchtung, dass es die Welt nicht schaffen wird, die Klimaerwärmung bis 2050 auf 1,5 Grad zu begrenzen. Derzeit sieht es nach drei Grad aus, und ob bis dann die Netto-Null-Ziele verwirklicht sein werden, ist ebenso offen.